Zum Inhalt [I]
Zur Navigation [N]
Kontakt [C] Aktuelles [2] Suchfunktion [4]

Impuls zum 25. Oktober 2020

Zum 30. Sonntag im Jahreskreis

Von Monika Bossung-Winkler, Diözesanverband Speyer

Vorbemerkung 
Die Ideen zur Lesung und zum Evangelium gehen auf die Plattform „Nachhaltig predigen“ zurück. Dabei handelt es sich um ein ökumenisches Projekt, das zu den katholischen und evangelischen Texten aller Sonntage im Kirchenjahr Anregungen gib (http://www.nachhaltig-predigen.de).

Einleitung
Dieser letzte Sonntag im Oktober ist traditionell der „Weltmissionssonntag“. Dabei geht es nicht nur um die Kollekte für das Hilfswerk missio, sondern um den Kern unserer Botschaft. Wir alle haben eine „Mission“ – nicht nach dem alten Missionsbegriff: „andere Menschen zu Christen machen“, sondern wir sind Boten des Evangeliums Jesu Christi. Worauf es dabei ankommt, hören wir im heutigen Evangelium: Du sollst Gott lieben und Du sollst Deinen Nächsten lieben, wie Dich selbst. Damit fasst Jesus die ganze Ethik des Alten Testaments zusammen, obwohl diese Worte so dort nicht zu finden sind. 

Der Nächste ist in Zeiten der Globalisierung nicht unbedingt nur der Mensch, dem ich in meiner Umgebung begegne. Der Nächste lebt manchmal weit entfernt – und doch bin ich mit ihm verbunden, weil er Nahrungsmittel für mich produziert; weil er Rohstoffe für meine Konsumartikel aus der Erde holt; weil er unter dem Klimawandel leidet, den ich durch meinen Lebensstil mit verursache.

Wir wollen in einem kurzen Moment der Besinnung an die vergangene Woche denken: Was war meine „Mission“? Wer war für mich „Nächster“? Was habe ich getan, um ihm meine Liebe zu zeigen?

Gebet
Herr Jesus Christus, Liebe und Solidarität sind der Kern Deiner Botschaft. Es gibt so viele Klageschreie auf dieser Welt. Öffne unsere Ohren und unser Herz, damit wir sie hören und zeige uns Wege der Solidarität.

Lied
„Friedensnetz“ (GL 306)

Ex 22, 20-26: Solidarität mit den Benachteiligten
20 Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen.
21 Ihr sollt keine Witwen und Waisen ausnützen.
22 Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören.
23 Mein Zorn wird entbrennen, und ich werde euch mit dem Schwert umbringen, so dass eure Frauen zu Witwen und eure Söhne zu Waisen werden.
24 Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld, dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von ihm keinen Wucherzins fordern.
25 Nimmst von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand, dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben;
26 denn es ist seine einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt. Worin soll er sonst schlafen? Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid.
Dieser Text steht in einem Zusammenhang mit dem Dekalog. Dieser wiederum ist in den Bundesschluss am Sinai eingebettet. Bezugsrahmen für beide ist die religiöse Ur-Erfahrung Israels, der Exodus, die Befreiung aus der Sklaverei. Darin erfährt Israel Gott als den, der den Schrei der Unterdrückten hört.

Deshalb sind die Zehn Gebote und die darauffolgenden Vorschriften nicht nur der moralische Kodex für Israel, sondern ein Angebot Gottes, damit das Volk Israel auf ewig sein „besonderes Eigentum unter allen Völkern“ bleibt und im gelobten Land leben kann (Ex 19,5).

Der Textabschnitt ist zwar in diese Zeit verlegt, jedoch einige Jahrhunderte später auf dem Hintergrund der damals vorhandenen sozialen Hierarchisierungen zu deuten. Es dreht sich konkret um die Frage, wie mittelständische israelitische Bürger mit der Oberschicht, Einwanderern, Fremden, Witwen, Waisen, Armen usw. umzugehen hatten. Er beginnt mit der Kategorie des Fremden (gēr). Diese Menschen haben es schwer, weil sie in der Regel mit niemandem rechnen können, der sich deren Anliegen annimmt oder ihnen Gerechtigkeit widerfahren lässt. So können sie leichter zum Opfer von Ausbeutungen jeder Art werden. Und obwohl manche schon lange im Land Israel ansässig waren, blieben sie Fremde und ihnen wurden zudem wichtige Ansprüche wie etwa auf Erbschaft verweigert. Der Text vermittelt die Vorstellung, dass, wenn keiner sich der Anliegen der Fremden, der Waisen, der Witwen und der Armen annimmt, Jahwe selbst es tun wird.

Als Begründung bringt der Autor die Erfahrung in Ägypten ins Spiel. Man mag zunächst den Eindruck gewinnen, dass diese Erwähnung dazu dienen soll, Gefühle der Empathie und des Mitleids zu generieren. Es ist jedoch durchaus möglich, dass Menschen nachfolgender Generationen die Erfahrung, Fremd in Ägypten gewesen zu sein, nicht mehr nachempfinden konnten. So bietet sich Vers 22 als Schlüssel zur Deutung dieses Textes an. 

So wie der Herr auf den Klageschrei der Israeliten in Ägypten gehört hat und ihnen Gerechtigkeit widerfahren ließ, so wird der Herr auch im Land Israel vorgehen. Der Ton der Verse 22 und 23 zeigt, dass hiermit „Gottes empfindlichster Nerv“ getroffen wird. Denn es gibt Verbrechen, die ihn so empören, dass er bereit ist, „Amok zu laufen“, um es den Menschen ins Bewusstsein zu bringen und Gerechtigkeit zu schaffen. Das Beispiel von Ägypten zeigt aber auch die Kehrseite der Medaille. Wenn die Israeliten denken, dass sie Fremde unbestraft ausbeuten dürfen, dann täuschen sie sich, denn aus ihrer eigenen Erfahrung und Tradition sollen sie ja wissen, dass der gēr (Fremde) einen allmächtigen Beschützer hat. Was Gottes Zorn letztlich erregt ist nicht die Tat des Unterdückers, die ohnehin gestraft wird, sondern die Klage des Unterdrückten, der hilflos auf Hilfe angewiesen ist. Demzufolge ist Gottes Zorn nichts anderes als die Konsequenz seines Erbarmens (vgl. Hab 3,2).

In ähnlicher Situation befanden sich Waisenkinder und Witwen, die in der Regel ihren ‚natürlichen Schützer‘ verloren haben und eben deswegen der ‚Klasse‘ der Mittellosen angehörten. Der Schutz all dieser Menschen war in antiken nahöstlichen Gesellschaften weit verbreitet, wobei diese Aufgabe meist der Obrigkeit oblag. Das Besondere an diesen Anweisungen war, dass diese Forderung verallgemeinert wurde, sodass sie fortan für jeden israelitischen Bürger galt. Das Individuum wird also für die Gemeinschaft in die Pflicht genommen. Das Zusammenleben wird nicht etwa durch eine Individualethik gestaltet, sondern durch das Prinzip des Gemeinwohls, welches wiederum Solidarität erzeugt und Zusammenhalt wahrt. Das gestattet nicht, dass sich bspw. bestimmte Mitglieder des Volkes Gottes auf Kosten anderer in Gottes Augen gleichberechtigter Menschen bereichern. Das Beispiel der Zinsen (V.24) veranschaulicht dies sehr treffend. Dementsprechend ist Gerechtigkeit keine Einhaltung abstrakter Normen, sondern ein konkretes Handeln, das dem Gemeinwohl der gesamten Gemeinschaft dienen soll. 

Lied
Suchen und fragen, hoffen und sehn (GL 457)

Mt 22, 34-40: Nächstenliebe
34 als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie bei ihm zusammen.
35 Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: Meister,
36 welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?
37 Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken.
38 Das ist das wichtigste und erste Gebot.
39 Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
40 An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.

Bei diesem Streitgespräch geht es vornehmlich um die Frage, ob es unter allen Geboten der Tora eines gäbe, welches sich als das Allerwichtigste herausstellte. Dass dies ein heikles, keineswegs unproblematisches Thema war, wird in der Beschreibung der Intention des Gesetzlehrers festgehalten, der nämlich Jesus auf die Probe stellen wollte. Es spiegeln sich darin auch die verschiedenen Gruppen im Frühchristentum, nämlich diejenigen, die sich weiterhin der Gebote der Tora verpflichtet fühlten (auch „Judenchristen“ genannt) und diejenigen, welche das Christentum als radikale Neuerung verstanden und die jüdischen Gesetze aufgehoben wissen wollten. Matthäus versucht dieses Dilemma mit dem letzten Satz zu lösen: „an etwas hängen“ meint hier: Halt geben. Das Liebesgebot ist der Ursprung des ganzen jüdischen Gesetzes.

Dieser Zusammenhalt, den sowohl der Exodus-Text als auch das Liebesgebot fordern, wird im Moment auf eine harte Probe gestellt: Die Corona-Pandemie ist nicht nur eine gesundheitliche Krise, sondern sie führt uns soziale Spannungen und Spaltungen besonders vor Augen: im Globalen Süden stehen die Bildungschancen von Millionen Kindern ohne Zugang zu digitalen Medien auf dem Spiel und Menschen in den Großstädten leiden unter Hunger; unsere Fleischfabriken werden zu Corona-Hotspots und führen uns unmenschliche Arbeitsbedingungen vor Augen; Moria wird zu einem Symbol für unsere Abschottung gegenüber Geflüchteten und Armen, die in Europa Schutz und eine sichere Zukunft suchen.

Gedicht
Bischof Leonidas Proaño, der in seiner Diözese Riobamba den Indigenen zu Land und Anerkennung ihrer Rechte verhalf, beschreibt in einem Gedicht, was Solidarität bedeutet: 

Die Ohren offen halten für die Schmerzensschreie anderer
Und ihren Hilferuf hören:
Das ist Solidarität.

Die Augen wachsam halten und über das Meer blicken
Auf der Suche nach Menschen in Lebensgefahr:
Das ist Solidarität.

Das Leid des Bruder hier und da als das eigene empfinden 
die Qual der Armen als eigene annehmen:
Das ist Solidarität.

Die Stimme der Gedemütigten werden, Ungerechtigkeit und Böses aufdecken,
Ungerechtigkeit anklagen:
Das ist Solidarität.

Sich von der Botschaft mitreißen lassen, die geladen ist mit Hoffnung, Liebe und Frieden,
die Hand des Bruders drücken:
Das ist Solidarität.

Selbst zum Boten werden in der der aufrichtigen und brüderlichen Umarmung
die einige Völker an andere Völker senden:
Das ist Solidarität.

Die Gefahren im Kampf für das Leben in Gerechtigkeit und Freiheit teilen
sogar das Leben aus Liebe riskieren:
Das ist Solidarität.

Gib dich der Liebe bis zum Leben hin
es ist der größte Test der Freundschaft,
lebe und sterbe mit Jesus Christus:
Das ist Solidarität.

Segensbitte
Gott, wir wollen auf diesem Weg der Solidarität gehen, die Schmerzensschreie hören, Ungerechtigkeit aufdecken und Boten für Gerechtigkeit und Frieden werden. Segne uns auf diesem Weg. Amen.
 

Dateien zum Download

Dateien zum Download